Im Golfstrom

Am frühen Donnerstag Morgen türmen sich, parallel zu beiden Rümpfen, Welllenberge mit weißen Schaumkronenspitzen auf. Das Großsegel steht stark gerefft und mit Bullenstander gesichert an Backbord. Durch einen Winddreher kommt der Wind immer weiter von hinten, bis das Großsegel durchhalst, weil im gleichen Moment der Bullenstander bricht. Mit voller Wucht schlägt das Großsegel, laut krachend, mit den oberen Segellatten in die Wanten. Der Druck des Aufpralls ist so stark, dass die 19 Millimeter dicken Glasfaserstäbe, als ob sie aus dünnem Holz wären, sogleich brechen. Ziemlich lädiert hängt der obere Teil des ansonsten weit durch die Segellatten ausgestellten Großsegels an den Mastrutschern rum.

Rückblick: Gestern um 12 Uhr haben wir nach einer ruhigen Nacht im bestens geschützten Lake Wesley, nahe Virginia Beach, den Anker aus dem modrig schwarzen Ankergrund gezogen. Bedingt durch den tiefschwarzen Schlamm, das ganze Vordeck eingesaut und wieder gereinigt und mit der Kraft von 150 gezähmten Motorpferden, ging es hinaus auf den spiegelglatten Atlantik. Dort waren wir nicht allein, fünf weitere Segelboote waren auf dem Weg südwärts. Die Flaute hielt wie vorhergesagt bis 23 Uhr abends an, der Tag plätscherte bei heiß ersehntem Sonnenschein, sehr angenehm und gemütlich vor sich hin. Flautenzeit, die Zeit zum Ausruhen, zum Vorkochen für die kommenden Tage, zum ausführlichen Wetterrouting, rundum mögen wir es sehr, wenn eine längere Seereise, so besinnlich beginnt.

Spät abends kam ein leichter segelbarer Wind aus nordwestlicher Richtung, also von der Küste in Luv von uns. Die Segel wurden gesetzt und passend zur Windrichtung getrimmt und schon waren wir schneller unterwegs, als alle Segelboote in der Umgebung, unsere Outremer spielte ihre Trümpfe gekonnt aus.

Schneller als gedacht erreichten wir das berüchtigte Cape Hatteras und von da aus segelten wir zu einem Punkt, um in den mit drei Knoten nach Nordosten fließenden Golfstrom einzubiegen, der an dieser Stelle rund 22 Seemeilen breit ist. Mit dem auffrischen Wind hatten wir schnell ein Reff ins Großsegel gebunden und die Genua komplett weggerollt, damit die Schiffsbewegungen im sehr bewegten Wasser des Golfstromes erträglich blieben. Wellenberge bildeten sich sofort beim Eintritt in den Strom, fliegende Gischt verteilte sich überall an Bord. Doch soweit so gut händelten wir das Boot, und der Autopilot bewältigte die anspruchsvolle Situation besser als erwartet. Bis zur erwähnten ungeplanten sogenannten Patenthalse (Warum die Patenthalse das Wort „Patent“ enthält, entzieht sich komplett meiner Kenntnis.)

Jedenfalls sind die alten, massiv gesplitterten Segellatten jetzt aus den Lattentaschen rausgezogen, die Reservelatten warten auf den Einbau, doch bis dahin müssen sich die See und der Wind beruhigen. Wir segeln jetzt nur mit dem Vorsegel dahin, versuchen den Schlaf der vergangenen Nacht nachzuholen, bereiten eine neue Bullenstanderleine vor und schreiben diesen Blog.

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2 Antworten zu Im Golfstrom

  1. Rolf sagt:

    Oh man, ihr habt aber auch ein Pech. Gut dass ihr auf viele Situationen so gut vorbereitet seid. Weiter einen guten, sicheren Törn und hoffentlich bald besseres Wetter.
    LG Cerstin&Rolf

  2. Dorothee sagt:

    oh – ja, gut, dass ihr so erfahren und gerüstet seid, um solche Situationen gut zu handeln. Aus dem regnerischen, kühlen Darmstadt wünschen wir euch auch einen guten, sicheren Weg auf dem Weg in die Sonne. Herzlich, Dorothee und Matthias

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