Wir sind eingeladen, nein, d.h. eigentlich ist Harald eingeladen und Wirt dürfen mitfahren, das Werk in El Haouaria anzuschauen, in dem die französische Katamaranwerft Catana ihre Cruising-Line “Bali” baut. 100 km seien das zu fahren, kein Problem, höchstens anderthalb bis zwei Stunden. Haralds Mitsegler Rolf schafft es, trotz widriger Umstände ein Leihauto zu ergattern, ganz neu ist es nicht, Beulen hat es auch ein paar, aber das scheint – wie schon in Portugal – niemanden wirklich zu interessieren. Der Tank ist leer, Sprit müssen wir erstmal kaufen, was davon am Abend übrig bleibt, ist bestimmt nicht für den nächsten Kunden.
Okay, aus den 100 km sind bei näherem Hinsehen 190 geworden, und auch mit zwei Stunden kommen wir nicht hin, aber egal, wann hat man schon mal die Gelegenheit, so durch ein völlig fremdes Land zu fahren?
Punkt neun Uhr starten wir an der Marina und sind nach wenigen Kilometern auf der Autobahn Richtung Tunis. Wie schon vom Meer aus gesehen, ist die Landschaft lieblich, hier oben im Norden sind es im wesentlichen Oliven- und Orangenplantagen sowie Schafherden, die das Bild bestimmen. Bei den Schafherden sind immer auch Schäfer mit Hunden. Manchmal laufen aber auch nur eine Kuh und drei Schafe und eine Ziege und ein paar Hühner über das Feld, das offensichtlich zu einem einstöckigen kleinen weißen Haus gehört.
Volker sagt: „Ich warte nur drauf, dass hier einer mit so nem Eselskarren vorbeikommt“, und richtig, kurz vor Tunis kommt nicht nur einer, sondern mehrere Typen mit Esels- oder Pferdekarren, auf denen irgendwelche landwirtschaftlichen Produkte transportiert werden.
Tunis ist eine Millionen-Metropole, trotzdem führt die Autobahn einfach hindurch, wir sehen rechts die protzigen Paläste der Banken, fahren über eine große Allee, einförmige sechsstöckige Wohnblocks wechseln mit fantasievollen Geschäftshäusern und, vor allem auf der Einfahrtsstraße mit großzügigen Wohnpalästen.
Nach Tunis geht die Fahrt weiter Mitt 110 Stundenkilometern über den „Transafrican Highway“ (klingt toll, oder?), bis wir diesen leider verlassen müssen, die letzten 100 km auf die deutlich kleineren Straßen mitten durch zahlreiche Ortschaften hindurch fahren. Das dauert zwar länger, ist aber in hohem Maße interessant. Als erstes werden wir mal von der Polizei angehalten, die wollen unsere Pässe sehen. Ob wir arabisch sprechen? Nein, das leider nicht, aber französisch. Auch gut, jetzt kommt der Chef, fragt, wohin wir unterwegs sind, wir zeigen es ihm auf unserer Karte, und er beschreibt uns den Weg für die nächsten drei Abbiegungen. Gut, damit haben sie die gute Tat für den Tag getan.
In einer der nächsten Ortschaften ist Markt, aber nicht irgendwo auf einem Platz, sondern beidseits der Hauptstraße, wir fahren ungefähr 20 cm an frischen Tomaten, Brot, lebenden Hühnern, rosafarbener Unterwäsche vorbei, nein, fahren natürlich nicht, sondern schleichen. Wir sind eben einfach in einer anderen Welt angekommen. Zwischen den Ortschaften endlose Felder, hier neben den Olivenbäumen auch viel Weizen, und immer wieder stehen am Straßenrand kleine Hütten, an denen irgendetwas verkauft wird: Kartoffeln, Zwiebeln, Knoblauch, und einiges, das wir nicht zuordnen können. Je weiter wir an die Spitze der Halbinsel kommen, desto mehr Weinbau gibt es, riesige Felder, wir erfahren später das der Mucadet von Kelibia eine besondere Spezialität ist.
Noch einmal werden wir von der Polizei angehalten, aber diesmal wollen sie nur die Autopapiere sehen, und ohne weitere Routenempfehlungen dürfen wir weiterfahren. Es ist schon nach zwölf Uhr mittags, bis wir bei der Werft ankommen, der oberste Chef von Catana und der Chef der tunesischen Fabrik erwarten uns schon, und laden uns zum Essen ein, denn jetzt haben auch die Arbeiter Pause, und sie wollen uns die Produktion lieber zeigen, wenn dort auch Menschen tätig sind.
Da sagen wir natürlich nicht nein, wir fahren ein paar Kilometer mit dem Auto bis zum Meer, und tauchen schon wieder in eine andere Welt ein. Ein von außen unscheinbares Restaurant öffnet sich auf eine große Terrasse mit einem schier unglaublichen Blick über die Bucht von El Haouaria. Auf dem Wasser fährt langsam ein Fischer mit seinem Schleppnetz vorbei, und wir werden verwöhnt mit den Köstlichkeiten des Meeres, Sepia, Pulpo, Krabben mit Oliven, sauer eingelegtem Gemüse und scharfer roter Harissa gibt es als Vorspeise mit Brot zum Dippen. Aber der Clou ist der Hauptgang: Seegrille, so was ähnliches wie eine Languste dazu Spaghetti, zum Hinknien lecker!
Interessant ist danach die Führung durch die Fertigung der Bali, in nur sieben Wochen fertigen sie hier die Bali 40, viele Frauen sind dabei, mit und ohne Kopftuch, und alle sind enorm gut drauf, sie lächeln strahlend, wenn man sie grüßt, die Stimmung scheint richtig gut zu sein, obwohl der Monatslohn im Vergleich zu europäischen Einkommen sehr niedrig ist.
Gegen 16 Uhr verabschieden wir uns mit vielen Dankesworten, wir wollen einen kleinen Umweg in Kauf nehmen. Damit wir nicht die gleiche Strecke wie auf dem Hinweg nehmen müssen, fahren wir über Kelibia und Korea an der nordöstlichen Küste Richtung Hammamed, dem Seebad Tunesiens. In Kelibia möchte Harald den Hafen anschauen, so etwas haben wir noch nicht gesehen. Das ist ja schlimmer als der Friedhof der Kuscheltiere, was hier an verfallenden Booten herumliegt! Und überall Müll, Dreck und vor allem Plastik. Nicht nur hier am Hafen, in den Orten, dazwischen überall liegt Plastikmüll. Nur nicht entlang des Highway, dort sehen wir Menschen, die den Dreck einsammeln, damit es ordentlich aussieht. Aber die laufen auch zu Fuß einfach so über die Autobahn,
Nach dem Schock tuckern wir heim über zahlreiche Ortschaften, befahren nochmal den Transafrican Highway, um uns leider in Tunis in den Feierabendverkehrsstau zu stellen. Unsere Köpfe sind voller Bilder, das wird eine ganze Weile in Anspruch nehmen, diese Vielfalt zu verarbeiten.